Montag, 24. Juni 2013
Thema: LadenLeben
Gehalten am 23. Juni 2013 in St. Lorenz
Predigttext Johannes 8, 3-11

1
Liebe Gemeinde,

da geht Jesus an einem ganz gewöhnlichen Tag morgens in den Tempelhof in Jerusalem um mit den Menschen, die da herein- und herumspazieren, zu reden, zu debattieren über Gott und die Welt, wie er es oft genug getan hat:
und ungeahnt steht er plötzlich mittendrin in einem richtig heftigen Gewärch, das wie ein Sommergewitter über ihn hereinbricht.

Das Volk drängt sich um ihn herum und die Emotionen schlagen hohe Wogen: In flagranti hat man sie erwischt, die Ehebrecherin, diese Hur. Eine, die die gesellschaftlichen Regeln eines geordneten und gesicherten Lebens außer Kraft setzt. Eine, die uns auf das Wilde und Leidenschaftliche und Unkontrollierte in unseren eigenen Tiefen stößt. Eine, die rücksichtslos lebt und genießt, die ihrer Gier und ihren 'animalischen Trieben' folgt – darf‘s das geben?

Die Vorschrift, wie mit einer solchen fleischgewordenen Bedrohung der anständigen Welt umzugehen ist, die steht geschrieben. Wie auf Steintafeln gemeißelt mit Gottes eigenem Finger. Wer die Ehe bricht, so sagt es das Gesetz des Mose, der muss sterben. Der Mann – der in dieser Bibelgeschichte seltsam unerwähnt bleibt – übrigens auch.

Und Jesus soll nun sagen, was zu tun ist: Sich ans harte Gesetz der Vorväter halten - und damit ein Todesurteil und Lynchjustiz befürworten, die die römischen Besatzer nicht dulden können. Oder die Verbrecherin entschuldigen und damit allen seinen Kritikern in die Hände spielen, die ihn als Verräter am traditionellen Glauben schon lange gerne ans Messer liefern wollen.

Eine raffinierte Falle, aus der er kaum heil wieder rauskommen dürfte. Denken seine Feinde.


2
Es gibt ein sehr eindrückliches Gemälde von Max Beckmann, in dem er diese hochdramatische Situation zu einem raffinierten Figurentableau konzentriert.
Auf dem Liedblatt vorne ist es abgedruckt. Nur in schwarz-weiss. Aber alles Wesentliche ist hoffentlich gut zu erkennen.

(zum Bild 'Christus und die Ehebrecherin' http://de.wahooart.com/A55A04/w.nsf/Opra/BRUE-8LSVT4)

Denn das Wesentliche an dieser künstlerischen Verdichtung sind hier für mich: die Hände und Gesten der Figuren. In diesen Händen bildet sich viel ab an möglichen Beziehungen von uns Menschen untereinander: ungute und hilfreiche.

Da sind die Hände der Ankläger und Besserwisser rechts von Jesus: sie benutzen mit Vorliebe ihren Zeigefinger.
Mit dem kann man genau drauf deuten, was einem verdächtig vor kommt oder nicht passt. Da schaut hin, was für ein Mensch…Und man kann diesen Finger gut nach oben strecken: als Zeichen der Mahnung und der Drohung. Wehe Dir! Wart nur ab! Der da oben wird dich schon zur Rechenschaft ziehen!

Und da sind die Hände des Mobs, links und rechts ganz am Rand: die ballen ihre Hände zu Fäusten. Sie drohen mit Gewalt und Vernichtung. Wer uns stört, der wird vertrieben. Wer zu uns gehört, bestimmen wir. Wir können vertreiben, ja töten, was uns und unserer Moral in die Quere kommt, was fremd ist und bedrohlich.

Ganz anders wieder die Hände der Frau, die vor Jesus kniet. Sie, die beschämt die Augen niederschlägt, streckt die bittenden Hände ihm entgegen, von dem sie Hilfe und Rettung erhofft. Herr, siehe an mein Elend und meine Not! Scheint sie damit zu sagen.Hände, fast wie bei Dürer, nur hier gefüllt mit drängendster Lebensbedrohtheit.

Wenn wir uns lösen von dem Beckmannschen Bild und uns umschauen mit wachen Augen: dann finden wir solche Hände an allen Orten der Gesellschaft: Die Gesten der Verachtung und Ausgrenzung, die Posen der Selbstüberhebung und den Moralismus, die Werkzeuge von Drohung und nackter Gewalt. Da müssen noch nicht einmal Steine fliegen. Und die bettelnden, flehenden, betenden Hände derer, die marginalisiert und bedroht sind. Oft nicht ohne Schuld. Aber gerade deshalb und um so mehr in Not und der Hilfe bedürftig.

Diese Hände - es sind immer auch unsere eigenen Hände. Bei allen Figuren. Denn wir alle sind Pharisäerinnen und Pharisäer. Und Ehebrecherinnen und Ehebrecher. Wenn nicht im Großen, so doch im Kleinen. Grund genug, die Steine aus der Hand zu legen, die wir da immer wieder umschließen und schleudern möchten in Wut und Zorn.

3
In dieser Gemengelage, diesem Gewärch, steht einer, der hat die Hände noch einmal anders. Der Christus. Es ist eine doppelte Geste. Mit zwei ganz verschiedenen Richtungen.

Die linke Hand, das ist die schützende Hand. Die sagt: zurück mit Euch. Lasst die Gewalt und die Verachtung. Tut ihr nichts. Diese Hand, sie mahnt und konfrontiert die Angreifer. Und sie schafft den Schutzraum ihr, die so bedroht am Boden kniet.

Doch dabei lässt es Jesus nicht bewenden. Die rechte Hand, die fordert etwas ein. Die Frau, sie ist zwar sicher und geschützt bei ihm. Aber auch sie erhält von ihm eine klare Forderung: Du musst Dein Leben ändern. Etwas geben! Ich richte dich nicht. Aber gehe hin und tue kein Unrecht mehr.

Zuspruch und Anspruch – so wurde dieses Ineinander in der Theologie mal auf eine Formel gebracht. Heute ist uns diese doppelte Haltung etwas verrutscht in ‚Fördern und Fordern‘. Und die Geste der Gnade und der Einladung zur Umkehr wird vom Maßnahmenkatalog der Disziplinierungsmöglichkeiten überlagert und der Zeigefinger und die Faust sind wieder da.

Die Hände des Christus auf dem Bild. Sind es auch unsere Hände als Christinnen und Christen?

4
Liebe Gemeinde!

Eine Hand aus der Geschichte fehlt auf dem Bild von Max Beckmann. Ich meine den Finger Jesu, mit dem er in den Sand scheibt. Einmal, zweimal. Es ist viel gerätselt worden, was Jesus da macht. Ob er die kreative Denkpause braucht. Oder einfach die Anklage ignoriert und Langeweile demonstriert.

Wenn man aber bedenkt, dass es die Vorstellung gab, dass Gott sein ewiges Gesetz auf die Tafeln des Mose mit eigener Hand, dem Gottesfinger eingraviert hatte, so stellt sich dieses Schreiben Jesu noch einmal anders dar.
Er schreibt sein Gesetz im Sand. Sand, da kann man das Geschriebene verwischen. Ohne Mühe. Ein wisch und etwas Neues kann hinein gezeichnet werden.

Das Gesetz Jesu – es scheint wandelbarer, flexibler zu sein, als ein starres Gebot mit ewig gleichem Wortlaut.

Es ist anscheinend situativ: mit jeder Herausforderung sind wir aufgerufen, gemeinsam neu nachzudenken und zu bestimmen, was denn Gerechtigkeit hier und jetzt sein kann. Wie wir den Fragen der Zeit und den Menschen, die uns begegnen, GERECHT werden können.

Das wird dann natürlich nie ganz beliebig und ohne bestimmte Grundorientierungen gehen. Der Wochenspruch dieser Woche ist so eine Grundregel Jesu: Jeder soll dem anderen helfen, seine Last zu tragen. Auf diese Weise erfüllt ihr das Gesetz, das Christus uns gegeben hat. So steht es im Galaterbrief des Paulus.

Aber was das dann konkret heißt: helfen, Lasten zu tragen, dazu braucht es Menschen, die diesen Auftrag annehmen und ernst nehmen und miteinander fragen, wo sie gebraucht werden und wie sie ihre Ideen und Kräfte einsetzen können für diesen Lastenausgleich.

Der LoLa hat sich von Angang an als so ein Ort und eine solche Gemeinschaft verstanden. Gut, dass es ihn gibt. Schön, dass ich nun mit Euch diese Fragen stellen kann und meine Kräfte einbringen. Und tun wir das unsere, dass er noch lange diese Aufgabe wahrnehmen kann.

Als Ort des Schutzes. Und der Erneuerung.
Mit Jesu Händen als unseren Händen.

Amen.