Liebe Gemeinde,

mit den Türen zum Paradies ist das so eine Sache.
Das hat Gerhard Polt sehr präzise auf den Punkt gebracht als er formulierte:
‚Ein Paradies ist immer dann, wenn einer da ist, der wo aufpasst, dass keiner reinkommt.‘

Ein Paradies, das nicht zugangsbeschränkt ist, wäre das überhaupt noch ein Paradies?
Wenn keine Mauer drumherum ist um den geheimen oder verbotenen Garten?
Wenn kein Petrus am Himmelstor die Einlasskontrolle vornimmt?
Wenn ein jeder einfach jederzeit hineinspazieren kann und dich breit macht wie in einem Volkspark, ob Sünder oder nicht?

Ist ein Paradies denkbar, das nicht begehrt und exklusiv zugleich ist?

1
Verschlossene Türen und Räume spielen in unserem Weihnachtsbrauchtum eine wichtige Rolle.
Oft schon Tage vor dem Heiligen Abend wird die Wohnzimmertür verriegelt.
Das Christkind braucht ja Zeit und Ruhe, den Christbaum zu schmücken
und die Geschenke herbeizufliegen und unter dem Baum zu drapieren.

Während draußen scheinbar harmlos der Adventsalltag weitergeht, wissen alle:
da drinnen entsteht Schritt für Schritt, Stunde für Stunde die Pracht, die sich dann am Weihnachtsabend offenbart:
das Silberglöckchen erklingt, die Tür geht auf, die Kerzen funkeln von der Edeltanne, die Geschenke sind im Flackern zwischen Licht und Schatten erst schemenhaft erahnbar,
aber viele sind es wohl und riesige!
Und wer durch die Tür ins Zimmer tritt ist endlich mittendrin: im Weihnachtsparadies!

Es muss wohl ein ähnlich festliches Gefühl gewesen sein, als Howard Carter 1922 bei seinen archäologischen Expeditionen in Ägypten die Grabkammer des Tutanchamun entdeckte und betrat.
Gold und Glanz und Grabbeigaben.
Und wir Nürnberger können das ja derzeit auch selbst nochmal ausprobieren, wie das wohl so gewesen sein mag….

Heut schleußt er wieder auf die Tür –
das Paradies als Schatzkammer voller verlockender Dinge.
Aber ganz vermag dieses Bild doch nicht zu befriedigen.
Schatzkammern, das sind Orte, die man bald wieder verlässt.
Schatzkammern werden geplündert.
Die begehrten Objekte werden mitgenommen – nach Hause.

Ich denke jetzt nur kurz an die Neueröffnung des Möbel-Höffner in Fürth:
Auch ein Einkaufs- und Schnäppchenparadies, das von den Menschen gestürmt und geplündert wurde, wie die Zeitung gestern berichten konnte. Das Glück im Einkaufswagen. Zum Mitnehmen.

Auch das Weihnachtszimmer erhält seine profane Gestalt zurück,
nachdem die Geschenke an andere Orte verschleppt sind,
und der Baum abgeschmückt
(früher wurde dieser tatsächlich von den Naschereien geplündert).

Und auch der paradiesesgleiche Stall in Betlehem:
Irgendwann war er wieder finster und leer und kalt und ohne Engelsklänge.

Die Tür zum Paradies? Sie muss noch irgendwie anders sein!

2
Liebe Gemeinde,
an unserer Tür zum Lorenzer Laden, drüben, da ist ein kleiner Aufkleber angebracht.
Eine offene Tür ist darauf zu sehen, ein Strichmännchen rennt durch diese Tür ins Helle.
NOTEINGANG steht daneben.

Diese Aufkleber stammen aus den Tagen, in denen Menschen,
die nicht mitteleuropäisch, weiß und inländisch aussahen,
Angst haben mussten, Adressaten von rassistischen Übergriffen zu werden.
Ausländerhatz als perverser Sport von rechtsradikalen Schlägern.
Das ist noch nicht sehr lange her.

Wohl denen, die da offene Türen fanden.
Schutzräume, die für sie aufgeschlossen waren.
Und Menschen, die aufgeschlossen sind für sie.
Die zusagen, nicht die Schotten dicht machen, wenn es brenzlig wird. Und bedrohlich.

Denn gerne lassen wir das, was das Behagen stört und das Vergessen und Verdrängen,
draußen vor der Tür.

So wie damals in dem Theaterstück von Wolfang Borchert, von 1947.
Das hieß auch: draußen vor der Tür.
Da war es der Kriegsheimkehrer Beckmann
mit seinen traumatischen Erfahrungen und mit seinen unangenehmen Fragen und mit seiner Verantwortung, die er zurückgeben wollte,
die draußen bleiben sollten aus den guten Stuben derer, die sich schnell wieder eingerichtet haben in den neuen Verhältnissen.
Der Tod ist in dem Stück der einzige der sagt, dass seine Tür immer offen stehe.

Heut schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis.

Wer entscheidet heute darüber,
wer rein darf?
Die Lampedusaflüchtlinge.
Die Rumänen und Bulgaren.
Auf der Suche nach Schutzräumen, neuer Heimat, Wohlergehen.
Woller mer se reinlasse -
in unsere Paradiese der Sozialsysteme?

Petrus sein, ist da keine schöne Rolle.
Aber wenn es die Alternative ist, sie zurückzuschicken in ihre großen oder kleinen Höllen,
aus denen sie sich aufgemacht haben?

Sicher: viele machen sich auch Illusionen über die guten Stuben,
in die sie zu kommen hoffen?
Auch der Westen oder Deutschland sind keine Paradiese im biblischen Sinn.
Aber selbst das ist eben relativ und kein Grund, die Wohlstandstore verschlossen zu halten…

3
Liebe Gemeinde,
neben den Schatz- und Schutzkammern gibt es noch eine dritte Art von verschlossenen Räumen,
die mir einfallen:
die Räume, in die wir uns selbst einschließen, und damit ausschließen von vielen Erfahrungen und Wirklichkeiten und Begegnungen.

Vor drei Jahren lief im Kino ein Dokumentarfilm mit dem Titel:
‚Auf der sicheren Seite‘.
Es ging darin um das Phänomen der ‚gated communities‘,
geschlossener Gesellschaften,
oder besser: Siedlungen der Selbstwegschließung.


Es sind Wohnsiedlungen, die mit einer Mauer, Stacheldraht, Überwachungsanlagen und Pförtner von ihrer Umwelt abgetrennt sind. Künstliche Paradiese wohlhabender Bürger.
Ohne den Lärm und das Chaos Indiens, ohne die Kriminalität Südafrikas, ohne die Anonymität amerikanischer Großstädte.
Die Sehnsucht nach dem Dörflichen, Kultivierten, Ruhigen, Geschützen,
kippt um in Ghettos der Langeweile und der Ignoranz.

Ein Disneyworld für Erwachsene, wo man nur hoffen kann, dass sich die Tore öffnen,
nicht dass die Ausgeschlossenen herein kommen,
sondern dass die Eingeschlossenen sich hinauswagen ins Leben,
das eben nicht sauber und gefahrlos und geordnet ist,
sondern schmutzig, wild und chaotisch.

Gefängnistore, die man von innen geschlossen hält und auch von innen öffnen muss.

Heut schließt er wieder auf die Tür vom falschen Paradeis…
Wohl dem, der es wieder vermag, anderen offen in die Augen zu sehen
und sich ihnen als Mitmenschen verbunden zu fühlen!


4
Liebe Gemeinde,
wenn wir über das Öffnen solcher Türen reden,
so sind wir schnell mitten im Feld christlicher Utopistik.

Bei Urszenen und Urwünschen von paradiesisch phantasierten Welten
Sei es am Anfang oder am Ende der Zeit:
Gibt es die Tür, die die Rückkehr in alte Paradiesgärten ermöglicht,
aus denen wir vertrieben sind?
Oder gibt es wenigstens die Tür, an der uns Petrus später einmal einlässt in die himmlischen Gefilde der Engel und der Harfen und Gesänge?

Solche Türen haben immer etwas von Schleusen in eine Fantasy-Welt,
ob das nun bei Alice im Wunderland das Hasenloch
oder bei Harry Potter der Bahnsteig 9 ¾ ist.
Türen als Übergang zwischen zwei Räumen unterschiedlicher Realität.

Wenn die Bibel aber von der offenen Tür spricht,
dann geht es oftmals um einen ganz realistischen Übergang hier in dieser Welt,
von einem begrenzten Raum zu einem offenen Raum,
von einer beschädigten zu einer geheilten Wirklichkeit.

Ein schönes Beispiel dafür steht in der Apostelgeschichte:
Dort verkünden Paulus und Barnabas nach der Rückkehr von ihrer Missionsreise der Gemeinde in Antiochia, wie es ihnen erfolgreich gelungen war,
den Heiden die Tür des Glaubens aufzutun.

Ist das nicht ein schönes Bild?
Zum Glauben zu kommen als ein Schritt in neue Räume.
Schon hier und jetzt, nicht erst in ferner Zukunft.
Und eine Öffnung, die endlich wahr macht, was die Profeten Israels schon lange verheißen hatten:
Dass auch die Völker zum Gott Israels bekehrt werden und ihn anbeten.
Nicht länger sind sie ausgeschlossen von Gottes Erwählung und seiner Gnade.
Durch die frohe Botschaft vom Messias Jesus.

Seine Geburt, seine Menschwerdung:
hier schließt sie neu auf die Tür zum Paradies des Glaubens – für alle!

5
Das Johannesevangelium geht sogar noch einen Schritt weiter:
Da ist Christus nicht nur der Tür-Öffner. Sondern die Tür selbst.

Hören wir diese Verse aus dem 10. Kapitel:

1Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer nicht zur Tür hineingeht in den Schafstall, sondern steigt anderswo hinein, der ist ein Dieb und ein Räuber.
2Der aber zur Tür hineingeht, der ist der Hirte der Schafe.
3Dem macht der Türhüter auf, und die Schafe hören seine Stimme; und er ruft seine Schafe mit Namen und führt sie hinaus.
4Und wenn er alle seine Schafe hinausgelassen hat, geht er vor ihnen her, und die Schafe folgen ihm nach; denn sie kennen seine Stimme.
5Einem Fremden aber folgen sie nicht nach, sondern fliehen vor ihm; denn sie kennen die Stimme der Fremden nicht.
6Dies Gleichnis sagte Jesus zu ihnen; sie verstanden aber nicht, was er ihnen damit sagte.
7Da sprach Jesus wieder: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ich bin die Tür zu den Schafen.
8Alle, die vor mir gekommen sind, die sind Diebe und Räuber; aber die Schafe haben ihnen nicht gehorcht.
9 Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich hineingeht, wird er selig werden und wird ein- und ausgehen und Weide finden.




Eine solche Tür,
die beides eröffnet,
das geschützt sein drinnen und das weiden draußen,
durchlässig nach beiden Seiten,
nicht exklusiv,
sondern eine Tür zum Seligwerden, zum Himmel auf Erden für alle.

Da wundert es nicht, wenn bei dessen Geburt sich der Himmel auftut und alle Engel singen.
Denn die Türen zwischen den Menschen stehen wieder offen.
Keiner muss draußen bleiben vor der Tür, der draußen ist.
Alle dürfen sich herauswagen, die drinnen sind.
Und es ist die Fülle an Leben vorhanden für alle, mehr als in jeder Schatzkammer.

Nach Weihnachten, nach Jesu Geburt ist der Satz von Gerhard Polt nicht mehr richtig.
Denn nun muss es heißen:
Ein Paradies ist immer dann, wenn einer da ist, der wo aufpasst,
dass alle
hereinkommen.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist al all unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen in Christus Jesus.
Amen.