Montag, 9. Juni 2014
1
Liebe Gemeinde,

endlich traut er sich, wieder den Mund auf zu machen!

Ja, früher, da war er unter den Jüngern als Großmaul verschrien.
Der Petrus, der immer vorne dran sein wollte.
Zu allem seinen Senf dazugeben musste.
Und der schnell mal ein Versprechen über die Lippen brachte,
das er dann doch nicht gehalten hat.

Eigentlich war es ja auch ein besonderer Jünger:
seine Begeisterungsfähigkeit, eine Gottesgabe!
Spontan war er, hellsichtig, einsatzbereit.

Petrus war es, der als erster Jünger erkannte und bekannte:
Du, Jesus von Nazareth, Du bist der Gottgesandte,
der Messias, der Christus,
auf den wir so lange gewartet haben,
damit sich unser Leben und diese Welt erneuern.

Aber dann war er sehr kleinlaut geworden,
als er nicht den Mut und die Kraft hatte,
bei Jesus zu bleiben in Todesgefahr.
Wie eine große Lähmung war es über ihn gekommen
und über die anderen Jünger.
Selbst die Oster-Botschaft: Jesus ist nicht tot!,
die musste sich erst einmal setzen.

50 Tage hat das gedauert, erzählt die Bibel.
Aber jetzt, jetzt lebt er wieder auf, der Petrus!
Vom stürmischen Pfingstgeist in Schwung gebracht,
stürmt er rauf auf die öffentliche Bühne.
Zurück zur alten Berufung: Menschen fischen!
Und was macht er als allererstes?
Er hält den Menschen in Jerusalem eine Standpauke,
die sich gewaschen hat.


3
Hören wir also ‚Die Pfingstpredigt des Petrus‘ aus Apostelgeschichte 2:

22 Ihr Männer von Israel, hört diese Worte:
Jesus von Nazareth,
von Gott unter euch ausgewiesen durch Taten und Wunder und Zeichen,
die Gott durch ihn in eurer Mitte getan hat, wie ihr selbst wisst -
23 diesen Mann, der durch Gottes Ratschluss und Vorsehung dahingegeben war,
habt ihr durch die Hand der Heiden ans Kreuz geschlagen und umgebracht.

32 Diesen Jesus hat Gott auferweckt; dessen sind wir alle Zeugen.
33 Da er nun durch die rechte Hand Gottes erhöht ist
und empfangen hat den verheißenen Heiligen Geist vom Vater,
hat er diesen ausgegossen, wie ihr hier seht und hört.

36 So wisse nun das ganze Haus Israel gewiss,
dass Gott diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zum Herrn und Christus gemacht hat.

37 Als sie aber das hörten, ging's ihnen durchs Herz
und sie sprachen zu Petrus und den andern Aposteln:
Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun?

38 Petrus sprach zu ihnen:
Tut Buße
und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi
zur Vergebung eurer Sünden,
so werdet ihr empfangen die Gabe des Heiligen Geistes.
39 Denn euch und euren Kindern gilt diese Verheißung
und allen, die fern sind,
so viele der Herr, unser Gott, herzurufen wird.

3
Liebe Gemeinde,
ich finde es aufregend, wie dieser Text
eine ganz besondere Dimension von Pfingsten herausstreicht:
den Mut zur freien Rede.

Da stellt sich einer hin, ungeschützt,
und sagt den Menschen ins Gesicht, was er denkt.

(Und nicht erst seit Rosa Luxemburg ist bekannt:
Das laut zu sagen, was ist,
bleibt die revolutionärste Tat.)

Und er sagt zweierlei:

Er sagt:
Ihr habt Jesus getötet.
Ihr seid schuldig geworden,
weil ihr seine Botschaft von der anbrechenden Herrschaft Gottes zum Verstummen bringen wolltet.
Ihr seid verstockt,
weil ihr euch auf den Ruf zu einem neuen Miteinander hören wolltet.
Ihr wolltet Euch nicht verändern zu lassen von Gottes Liebe,
ihr wolltet, dass Gottes Zukunft nicht stattfinden kann.
Und alles bleibt wie es ist.

Und er sagt:
Jesus ist und bleibt der Herr.
Er hat noch im Tode Recht behalten und setzt seine Mission fort.
Mit uns geschmähten Jüngern.
Und wenn ihr wollt: auch mit Euch.
Veränderung ist möglich.
Kehrt um, steuert um, verwandelt Euch.

Was Petrus da hinlegt,
ist eine vorwurfsvolle Bußpredigt
und zugleich eine einladende Missionspredigt.
Peitsche und Zuckerbrot.

Ob er so die Herzen der Menschen erreichen konnte?

Lukas zumindest beschreibt es so:
Und es ging ihnen durchs Herz…

4
Liebe Gemeinde,

im vergangenen November fand in Korea ein Großereignis der Weltchristenheit statt:
die 10. Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen.
Schon allein das ist ein quasi pfingstliches Ereignis,
wenn Vertreter_innen der 350 Mitgliedskirchen aus 120 Ländern zusammenkommen
und sich trotz der vielen Muttersprachen in Geschwisterlichkeit austauschen.
Die begeisterten Berichte der Delegierten lassen etwas von dieser Seite des Pfingstwunders ahnen.

Eines der wichtigsten Themen, das dort besprochen wurde, war:
ein neues Verständnis von Mission zu formulieren.
Wie können wir heute unseren Glauben in der Welt bezeugen?
Und das sieht im 21. Jahrhundert denn doch etwas anders aus,
als es noch für Petrus und die erste Gemeinde war.

Sie mussten sie erst einmal Kirche werden. Viele neue Menschen gewinnen.
Das Evangelium ausbreiten. Von Jerusalem bis an die Enden der bekannten Erde.
Später sind die abendländischen Missionare in dieser Bewegung geblieben:
Sie haben im Windschatten der Abenteurer und Eroberer den Glauben verbreitet,
nicht immer so friedlich und aufs reine Wort vertrauend,
wie es Petrus in unserer Geschichte tat.

Heute ist das Christentum ausgebreitet.
Es gibt keine weißen Flecken auf der Landkarte mehr.
Und doch gilt es weiter, Menschen davon zu überzeugen,
dass der Glaube an Christus das Leben zum Guten verändern kann.

Und da kommen von der Vollversammlung aus Korea plötzlich ganz aufregend neue Töne:
Nicht die innere Umkehr der einzelnen Menschen allein kann das Heil der Welt schaffen.

Eine solche, rein individuelle Erlösungshoffnung wirkt zynisch,
wenn um uns herum die Natur unaufhaltbar weiter geschädigt wird
und die sozialen Verwerfungen zunehmen.

Umkehr kann nicht nur eine Hinwendung zum Glauben sein,
sie muss auch eine Abwendung sein von den lebensbedrohlichen Mächten,
denen wir mit unserem Modell des Dauerwachstums von Produktion und Konsum anhängen.

Der Heilige Geist wird nicht nur als Kirchengründer gebraucht,
sondern als Kraft der großen Umgestaltung, der großen Transformation.

5
Liebe Gemeinde,
in der Fachdebatte um Klimawandel und Nachhaltigkeit hat sich dieser Begriff gebildet,
der die Aufgabe beschreiben soll, vor der wir stehen.
‚Die große Transformation‘.

Es gab schon einmal eine große Transformation.
Als die kapitalgesteuerte industrielle Lebensweise begonnen hat,
alle Lebensverhältnisse umzuformen und zu durchdringen.

Und wir halten die Trümmer dieser Transformation in Händen.
Alles droht uns zur handelbaren Ware zu werden.
Zum Kaufobjekt. Zum Konsumgegenstand.
Und diese Logik schleicht sich hinein bis in alle Beziehungen.
Zu Mensch und Natur.
Die Berechnung des eigenen Vorteils steht an erster Stelle.
Was scheren mich die Ausgeschlossenen,
die nicht länger mithalten können oder gebraucht werden?
Was schert mich, was mit der Natur in 100 Jahren sein wird?

Wir haben viele Techniken entwickelt,
die Augen zu verschließen vor dem, was ist.
Was sich abzeichnet.
Was wir zu verantworten haben.

Der Bußruf des Petrus zu Pfingsten, die drängende Einladung zur Umkehr,
sie gehört heute doch auch wieder zu dem, was an Pfingsten gesagt werden muss.
Eine Kirche, die nicht so ruft, dient nicht dem Gott des Lebens.

Trauen wir uns, das so zugespitzt öffentlich auszurufen:
So kanns nicht weitergehen.
Ihr lebt auf Kosten anderer.
Ihr habt die Krisen selbst herbeigeführt.
Ihr vernichtet die Lebenschancen aller künftigen Generationen.
Kehrt um, tut Buße. So formuliert es die Bibel.
Heute könnte man vielleicht sagen: transformiert Euch!

Und es bedarf großen Muts und kaum abzuschätzender Energie,
wenn wir diese Entwicklungen noch umsteuern wollen.
Groß ist sie, die Aufgabe der neuerlichen Transformation.
Und vieles wird nicht beim Alten bleiben können.

6
Liebe Gemeinde,
doch bei aller ernsten Warnung,
kommt die Missionserklärung aus Busan sehr ermutigend daher.
Nicht nur im Geist der ernüchternden Wahrheit,
sondern noch viel mehr im Geist der Kraft zur Veränderung.

Der Geist Gottes ist ja als Atem des Lebens von Anbeginn die Kraft in der Schöpfung.
Das etwas lebt und gedeiht und fortbesteht.

Und wir sind schon immer mittendrin in Gottes Plan für diese Welt,
die unheiligen Geister zu bannen
und das Leben zu heilen und zu heiligen.

Gott will die Welt verwandeln und braucht uns dazu.
Und in Christus, dem Geistgezeugten und Geistbegabten, nimmt er uns in seinen Dienst.
Und der heilige, pfingstliche Geist wird die Weisheit und die Kraft dazu geben.

Der Begriff, den das Missionspapier aus Busan dafür findet, klingt etwas spröde:
Es spricht von ‚transformativer Spiritualität‘.
Also: leben im Geist, der uns verwandelt UND das Leben so verwandelt, dass es Zukunft hat.

Was für eine Vision: Kirche als Agent des Wandels.
Als Avantgarde einer ökosozial gerechten und friedlichen Welt!
Als eine, die ermutigt und befeuert,
nicht zaudert oder bremst.
Und so kann Mission für die Kirche heute nicht einfach Mitgliederrekrutierung sein.
Selbstsicherung darf es nicht sein.

Sondern das Einsteigen und Einladen in eine weltverwandelnde Bewegung.
Die ökumenische Vollversammlung hat eingeladen, die sieben Jahre bis zum nächsten Treffen als einen großen Pilgerweg für Friede und Gerechtigkeit zu gestalten.

Pilgern – damit haben Sie hier ja Erfahrung in St.Jakob.
Das ist ein Unterwegssein, das nicht nur das Ziel im Auge hat.
Sondern darauf achtet, in welchem Geist ein Weg gemeinsam gegangen wird.
Da gibt es Aufgaben für Große und Kleine, Starke und Schwache.
Und die Erfahrung, dass der Geist unseres Gottes ein Geist des Lebens ist.

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Übrigens: Unser Landesbischof war Delegierter in Busan und hat diesem Papier zugestimmt.
Und als Petrus fertig war mit seiner Predigt, sollen sich 3000 Menschen haben taufen lassen.
Wenn das keine Zeichen der Ermutigung sind!
Amen.